Hinein ins echte Leben – die ersten Schritte

On the road

Nach zwei Jahren im Konzern war klar, dass ich eine Auszeit wollte. Da der Gedanke daran ungewohnt und ja, etwas unheimlich war, versuchte ich die Zeit generalstabsmäßig zu planen. In unzähligen Gesprächen mit Freunden und Familie – oft mit monologischem Charakter – ging ich der Frage nach, was mir eigentlich wichtig ist und was die nächsten Schritte sein könnten. Und wie man das heute so macht, nahm ich mir einen Coach.

Er ist ein überaus sympathischer wie fähiger Mann mit bewegter Lebensgeschichte und wollte mir erst einmal beibringen, mich meinem Innersten zu nähern. Dieses aussichtslose Experiment stellten wir dann auch schnell wieder ein, um uns nach zwei Sitzungen der Frage zu nähern, was ich mit der Auszeit so anstellen könnte. Wir wurden schnell konkret und langsam entwickelte sich ein grober Plan: Ich wollte mich neu orientieren und nach alternativen Arbeits- und Lebensentwürfen suchen. Zuallererst wollte ich jedoch mal runter fahren, ein neues Verhältnis zur Zeit entwickeln und einfach den Sommer genießen. Also genau das tun, was ich im Job am allerwenigsten konnte – in den Tag leben.  

Nach stressigen letzten Arbeitstagen mit Übergaben, Projektabschlüssen und natürlich auch Abschiedsfeierlichkeiten, begann die erste Woche im neuen Leben, mit einem Montag. Eigentlich fühlte sich alles wie immer an. Nur eines war anders. Ich hatte Zeit, viel Zeit. Also raus aus dem Bett, rein in die Sonne und ins Café um die Ecke. Denn der Café-Besuch sollte zum neuen morgendlichen Ritual werden: den Tag völlig entspannt beginnen lassen, Latte Macciato schlürfen (das tut man doch in unserem Alter) und in Ruhe die Zeitung lesen. In meiner Vorstellung war ich der erste der das Café betritt, um dort mutterseelenallein den Tag in meditativer Kontemplation zu beginnen. In meiner Vorstellung. Umso größer war die Verwunderung als ich die Sonnenterasse betrat und dort einen wilden wie vielfältigen Haufen von Sonnenhungrigen vorfand, was mich erst mal ziemlich erschlug. Immerhin war es Montagmorgen und da geht man schließlich arbeiten!

Ich erkämpfte mir einen Platz und versuchte die Situation zu ordnen. Augenscheinlich trafen sich hier junge Mütter mit Kinderwägen auf einen Plausch, Rentner auf das erste Weißbier des Tages, Freiberufler bewaffnet mit Laptop und Handy bereit zum freelancen (was auch immer das genau sein mag), Pärchen zum Frühstück und wohl auch einfach Menschen mit viel Zeit und entspanntem Leben.

Als Teil der arbeitenden Bevölkerung glaubte ich immer, alle anderen würden auch arbeiten, in Ausbildung sein oder sonst irgendeiner Tätigkeit nachgehen, die sie davon abhält Montagmorgens im Café zu sitzen und mir die Zeitung wegzuschnappen. Augenscheinlich müssen jedoch nicht alle Menschen hektisch versuchen, alle Lebensbereiche in den Tag zu quetschen. Vielmehr kann gefühlt die andere Hälfte der Bevölkerung den Morgen entspannt beginnen lassen. Wir sollten von ihnen lernen. So konnte ich gleich zu Anfang der Auszeit zweierlei lernen: Erstens, sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass Arbeiten der Normalzustand ist. Zweitens, werde ich wohl früher aufstehen müssen, um morgens noch eine Zeitung zu ergattern.

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